Was ist Informatik?



  • marco.b schrieb:

    @Gregor: Mag sein, dass du dir selbst eine Klassifikation in Ingenieursdisziplin und Wissenschaft zurechtlegst, letztlich sollte man aber schon anerkennen, dass Informatik nunmal als Wissenschaft definiert ist. So weit sollte man über den Tellerrand schauen können.

    Pfff, was heißt da Tellerrand. Ich habe mich lange genug mit Informatik beschäftigt, um zu wissen, was man darunter alles verstehen kann. Wenn man die Informatik als Wissenschaft oder etwas anderes klassifiziert, dann ist nie wirklich passend. Die Informatik hat dazu zu viele Facetten. Aus meiner Sicht gibt es auch keine Autorität, die die Informatik einfach so als Wissenschaft definieren kann. Du sagst ja praktisch "Die Informatik ist eine Wissenschaft, weil sie so definiert ist". Das ist aus meiner Sicht eine etwas unbefriedigende Argumentation. Naja, aber wie dem auch sei: Mir ist eigentlich völlig egal, ob Du oder die anderen hier die Informatik als Wissenschaft sehen. Mir kam es darauf an, deutlich zu machen, dass sich die Informatik ganz beträchtlich von der Physik unterscheidet. Und zwar was die Qualität des Stoffs, die Zielsetzungen und die Arbeitsweisen betrifft. Ich hoffe, dass das angekommen ist. In der Informatik liegt der Fokus in weiten Bereichen darauf, wie man etwas macht. Man lernt auf verschiedenen Ebenen wie man informatische Systeme entwickelt. Angefangen bei der Entwicklungsmethodik, dann über ein breites Methoden- bzw. Werkzeugwissen und über Designaspekte hin zu Details in der Implementierung.

    Deshalb sage ich auch, dass Informatik DAS Studium ist, wenn es einem ums Programmieren geht. Man kriegt in diesem Studium unglaublich viel mit was man bei der Programmierung praktisch anwenden kann.

    marco.b schrieb:

    Dass alles außer der theoretischen Informatik rein produktentwicklungsfokusiert ist, würde ich so auch nicht sagen. Nehmen wir ein klassisches Beispiel. Was sagst du zum Gebiet der Wissensverarbeitung / künstl. Intelligenz? Einerseits mag sich ein Expertensystem gut in ein Produkt einbinden lassen, andererseits besteht schon lange der Wunsch, Erkenntnisse darüber zu gewinnen, wie sich gedankliche Prozesse analog zum menschlichen Denken in irgendeiner Art abbilden lassen. Wissenschaftlich oder produktorientiert? Oder ist das für dich dann einfach theoretische Informatik?

    Ich fasse "Wissensverarbeitung / künstl. Intelligenz" mal zu KI zusammen. Letztendlich ist die KI ein sehr sehr breites Gebiet und wenn man Wikipedia anguckt, dann wird dieser Bereich dort als eigener Unterbereich der Informatik gewertet. Mir sind allerdings Universitäten bekannt, die die KI der theoretischen Informatik zuordnen und auch Universitäten, die diesen Bereich der praktischen Informatik zuordnen.

    Also ich kann nur sagen wie ich die Lehre der KI in der Uni wahrgenommen habe. Aus meiner Sicht wurden mir da Werkzeuge beigebracht. Ich begreife zum Beispiel künstliche neuronale Netze als Werkzeug, das ich bei entsprechenden Aufgabenstellungen einsetze. Ebenso sehe ich Fuzzy Logic oder Beschreibungslogiken oder die ungefähr 1000 weiteren Werkzeuge, die ich in dem Zusammenhang kennengelernt habe. Klar, hinter Werkzeugen wie den Beschreibungslogiken steckt auch eine ganze Menge strukturelles Wissen, das auch systematisch erschlossen wird, aber ehrlich gesagt kommt davon IMHO nicht wirklich viel bei den Studenten an. Der Punkt ist einfach, dass die Informatik (noch) relativ nah an der praktischen Anwendung liegt. Man sieht das ja auch in den Wunschprofilen, die man in Jobangeboten findet. Und entsprechend ist die Lehre auch größtenteils auf die praktische Anwendung ausgerichtet. Klar, die FH ist da dann noch ein bischen praktischer als die Uni, aber letztendlich sind beide größtenteils auf die praktische Anwendung ausgerichtet. Dijkstra hat mal gesagt, dass man die Informatik streng von der praktischen Anwendung trennen sollte. Wenn man das tun würde dann würde ich durchaus sagen, dass sie in erster Linie den Charakter einer Wissenschaft hat. Aber an dem Punkt sind wir noch nicht. Sein Ausspruch "In der Informatik geht es genauso wenig um Computer wie in der Astronomie um Teleskope" stimmt nunmal nicht mit der Lehre an Universitäten überein. Die Informatik hat heutzutage noch unglaublich viel mit dem Arbeiten mit Computern zu tun.

    EDIT: Ich habe gerade mit Christoph über die ganzen Werkzeuge in der Informatik geredet. ...möglicherweise ist der entscheidende Punkt einfach, dass einem in der Informatik Unmengen an Werkzeugen vorgestellt werden. Man geht bei diesen Werkzeugen nicht in die Tiefe, sondern zeigt sie praktisch nur sehr kurz den Studenten und sagt, wo man sie anwenden kann.



  • Gregor schrieb:

    Jester schrieb:

    So ziemlich alles was ich bisher im Informatik-Bereich gesehen habe hat sich letztlich doch auf Erkenntnis ausgerichtet: Natürlich werden hier und da auch Systeme entwickelt, die gewisse Aufgaben gut lösen, aber bei allem was ich bis jetzt gesehen habe, stand dahinter doch immer eine Frage, nämlich [...] wie entwirft man Systeme, die gewisse Eigenschaften haben. Dass irgendjemand das Produkt ins Zentrum stellt habe ich bis jetzt nur in wirschaftsnahen Einrichtungen gesehen.

    Was genau ist bei Dir der Unterschied zwischen einem Produkt und einem System, das entwickelt wird?

    Nichts, Du mußt den Satz weiter lesen. Es steht eben nicht das Produkt/System im Vordergrund, sondern eine Fragestellung dahinter. Na klar kannst Du sagen "neuronale Netze sind für mich nur ein Werkzeug". Du verkennst dabei aber, dass so ein Werkzeug zwei Seiten hat: die einen benutzen es um Produkte zu entwickeln, während andere neue Werkzeuge schaffen bzw. sie verbessern. Der zweite Teil ist nicht wirklich produktorientiert. Allerdings spielt dort oft auch ein Produkt eine wichtige Rolle: um die Leistungsfähigkeit des neuen Ansatzes zu belegen wird eben oft ein Produkt mitentwickelt, das die Leistungsfähigkeit belegt.

    Bloß weil am Schluß auch noch ein Produkt abfällt heißt das nicht, dass die Arbeit nicht wissenschaftlich ist. Genausowenig wie man sagen kann, dass jemand offensichtlich wissenschaftlich arbeitet, weil am Ende nix rauskommt. :p



  • Gregor schrieb:

    Mir kam es darauf an, deutlich zu machen, dass sich die Informatik ganz beträchtlich von der Physik unterscheidet.

    Sicher. Deshalb ist Physik auch eine Naturwissenschaft und Informatik teils Struktur-, teils Ingenieurswissenschaft.

    Gregor schrieb:

    Klar, hinter Werkzeugen wie den Beschreibungslogiken steckt auch eine ganze Menge strukturelles Wissen, das auch systematisch erschlossen wird, aber ehrlich gesagt kommt davon IMHO nicht wirklich viel bei den Studenten an.

    Mag an vielen (Fach)hochschulen so sein, kann ich nicht sagen (kannst du es? An wie vielen Unis hast du denn studiert?)
    Aber am Gymnasium werden Physik und Mathematik auch anwendungsorientiert gelehrt, trotzdem handelt es sich bei beiden um eine Wissenschaft. Will meinen: Ich verstehe dieses Argument nicht ganz. Es gibt Einrichtungen, in denen ein bestimmter Lehrstoff nur anwendungsorientiert vermittelt wird. Also entspringt der Lehrstoff keiner Wissenschaft?



  • Man muss aber auch mal sehen, dass Wikipedia 105 Seiten zur theoretischen Informatik und 7 Seiten zur praktischen Informatik zählt. Wenn man das mal als repräsentativ ansehen würde, so müsste man also selbst nach Gregors Meinung die Informatik zu 93.75% als Wissenschaft ansehen ;).



  • life schrieb:

    Man muss aber auch mal sehen, dass Wikipedia 105 Seiten zur theoretischen Informatik und 7 Seiten zur praktischen Informatik zählt. Wenn man das mal als repräsentativ ansehen würde, so müsste man also selbst nach Gregors Meinung die Informatik zu 93.75% als Wissenschaft ansehen ;).

    Tausende von Seiten sind mit Hardware und Softwarebeschreibungen voll. http://de.wikipedia.org/wiki/Sinclair_ZX81
    Ist halt die Frage, ob der Mediamarkt-Verkäufer ein Informatiker ist.
    In meinem Studium(FH) waren Produktvorstellungen immer nur nebensächlich, die einzigen Produkte, die ganze Vorlesungen (, die halb zu Werbeveranstaltungen verkamen,) begleiteten gabs in "Client-Server-Geschmuse am Beispiel Oracle mit Corba", "Softwareentwicklung per Mausklick mit ...{Name vergessen, so unwichtig war's}", "halbherzig Programmieren mit Java". Aber da ging man auch nicht raus und hatte das Gefühl, was gelernt zu haben, das sind doch nur "Chef, gib mir Handbuch und am Montag kann ich's"-Sachen. Ich kann mir nicht vorstellen, daß es Studienrichtungen gibt, wo es solche komischen Scheine nicht gibt.



  • marco.b schrieb:

    Gregor schrieb:

    Klar, hinter Werkzeugen wie den Beschreibungslogiken steckt auch eine ganze Menge strukturelles Wissen, das auch systematisch erschlossen wird, aber ehrlich gesagt kommt davon IMHO nicht wirklich viel bei den Studenten an.

    Mag an vielen (Fach)hochschulen so sein, kann ich nicht sagen (kannst du es? An wie vielen Unis hast du denn studiert?)
    Aber am Gymnasium werden Physik und Mathematik auch anwendungsorientiert gelehrt, trotzdem handelt es sich bei beiden um eine Wissenschaft. Will meinen: Ich verstehe dieses Argument nicht ganz. Es gibt Einrichtungen, in denen ein bestimmter Lehrstoff nur anwendungsorientiert vermittelt wird. Also entspringt der Lehrstoff keiner Wissenschaft?

    Ich habe natürlich auch nur subjektive Erfahrungen. Aber jenseits davon kenne ich natürlich auch Standardliteratur, die im Studium genutzt wird. Bleiben wir doch mal bei der Künstlichen Intelligenz. Ein absolutes Standardbuch in diesem Bereich ist "Artificial Intelligence - A Modern Approach". Das wird definitiv in vielen Universitäten als Grundlage für entsprechende Veranstaltungen genutzt. Das ist zugegebenermaßen ein höchst interessantes Buch, aber wenn man es durchblättert, sieht man eigentlich, dass es ein reiner Werkzeugkatalog ist. In dem Buch werden einem zu etlichen Problemen noch mehr Werkzeuge vorgestellt. In die Tiefe wird dabei nicht gegangen, stattdessen ist der Autor in erster Linie darum bemüht, dem Leser einfach nur einen möglichst breiten Werkzeugkasten zu vermitteln. Die ganzen Werkzeuge und Probleme hängen dabei IMHO auch nur sehr lose zusammen. Das ist genau den Eindruck, den ich fast im gesamten Informatikstudium hatte. In fast allen Veranstaltungen gab es so eine sehr oberflächliche Werkzeugschau, die darauf ausgelegt war, den Studenten in die Lage zu versetzen, entsprechende informatische Probleme in der Praxis anzugehen. Der lose Zusammenhang, den ich in der KI angesprochen habe, ist natürlich im gesamten Info-Studium vorhanden. In den Vorlesungen über theoretische Informatik ist das ganz anders. Dort lernt man zwar auch etwas über Strukturen, die als Werkzeug dienen können, aber der Stoff wird wesentlich tiefgehender behandelt.

    Klar, ihr sagt jetzt, dass hinter all diesen Werkzeugen, die man beispielsweise in der KI kennenlernt, jede Menge Struktur und Wissenschaft stecken. Aber die entscheidende Frage ist doch, was einem im Studium vermittelt wird. Es wird eben nicht vermittelt, wie man derartige Werkzeuge entwickelt oder erforscht. Stattdessen wird vermittelt, welche Werkzeuge vorhanden sind und in welchem Zusammenhang man sie nutzen kann. Vermutlich geht das im Großen und Ganzen auch gar nicht anders. Ich bezweifle, dass es dort eine einheitliche Werkzeug-Entwicklungsmethodik gibt. In der Physik ist das anders. Was in der Informatik aus meiner Sicht ein Werkzeug ist, ist in der Physik eine Formel. Da lernt man in der Schule einige Formeln kennen und wendet sie an. Im Studium lernt man hingegen die Struktur hinter den Formeln kennen und es wird einem beigebracht, wie man auf Basis der Struktur zu den Formeln kommt. Praktisch die Werkzeugentwicklungsmethodik. In der Mathematik sieht es ähnlich aus. Dort lernt man in der Schule das Rechnen. Also die Nutzung von irgendwelchen mathematischen Sätzen. Im Mathematikstudium lernt man hingegen die Methoden kennen, nach der in der Mathematik die Sätze auf Basis der darunterliegenden Struktur entwickelt und bewiesen werden.

    Übrigens: Das KI-Buch, das ich erwähnt habe, ist natürlich ein Grundlagenbuch das noch nichtmal für Schwerpunkte im Studium genutzt wird, sondern eben für Standardvorlesungen, die viele Studenten unabhängig von der speziellen Ausrichtung im Studium hören. Man sollte denken, dass es dann in Schwerpunktsvorlesungen anders aussieht. Ich habe mich im Studium auf intelligente Systeme spezialisiert. Habe also jede Menge Literatur zu Wissensverarbeitung, Bildverarbeitung, Robotik und so gelesen. Die Behandlung des Stoffs war dort qualitativ auch nicht anders. Auch dort läuft alles in erster Linie auf eine Werkzeugschau hinaus. Eigentlich ist das auch etwas sehr positives. Letztendlich ist bei der Informatik die praktische Anwendung eben doch sehr wichtig. Man hört sehr oft die Forderung, dass dieses Studium praktisch orientiert sein soll und das ist es eben auch.

    life schrieb:

    Man muss aber auch mal sehen, dass Wikipedia 105 Seiten zur theoretischen Informatik und 7 Seiten zur praktischen Informatik zählt. Wenn man das mal als repräsentativ ansehen würde, so müsste man also selbst nach Gregors Meinung die Informatik zu 93.75% als Wissenschaft ansehen ;).

    Naja, Wikipedia bildet nun nicht gerade ein entsprechendes Hochschulstudium ab. In so einem Studium ist die theoretische Informatik jenseits von entsprechenden Schwerpunkten vielleicht 30% des Stoffs.



  • Gregor schrieb:

    life schrieb:

    Man muss aber auch mal sehen, dass Wikipedia 105 Seiten zur theoretischen Informatik und 7 Seiten zur praktischen Informatik zählt. Wenn man das mal als repräsentativ ansehen würde, so müsste man also selbst nach Gregors Meinung die Informatik zu 93.75% als Wissenschaft ansehen ;).

    Naja, Wikipedia bildet nun nicht gerade ein entsprechendes Hochschulstudium ab. In so einem Studium ist die theoretische Informatik jenseits von entsprechenden Schwerpunkten vielleicht 30% des Stoffs.

    Also im Grundstudium hat mir hier etwas mehr als 50% theoretische Informatik bzw. Mathematik Vorlesungen (genauer: 50 von 98 Punkten; Studium Generale + Nebenfach nicht mitberechnet, da beliebig wählbar). Später kann man sich dann entsprechend spezialisieren.

    Mit deiner Spezialisierung auf Intelligente Systeme bist du also ein wenig selber Schuld: Ich fand die Maschinelles Lernen Vorlesung jedenfalls auch furchtbar oberflächlich und habe dementsprechend danach einen Bogen um derartige Vorlesungen gemacht ;).



  • life schrieb:

    Also im Grundstudium hat mir hier etwas mehr als 50% theoretische Informatik bzw. Mathematik Vorlesungen (genauer: 50 von 98 Punkten; Studium Generale + Nebenfach nicht mitberechnet, da beliebig wählbar). Später kann man sich dann entsprechend spezialisieren.

    Mit deiner Spezialisierung auf Intelligente Systeme bist du also ein wenig selber Schuld: Ich fand die Maschinelles Lernen Vorlesung jedenfalls auch furchtbar oberflächlich und habe dementsprechend danach einen Bogen um derartige Vorlesungen gemacht ;).

    Naja, die Mathematik habe ich jetzt nicht gerade zur Theoretischen Informatik dazugerechnet. Die fällt ja auch im späteren Studium weg. Ok, mag sein, dass mein Schwerpunkt zu so einer Werkzeugschau geführt hat. Was hältst Du denn für "wissenschaftlichere" (also in meinem Sinn jetzt) Schwerpunkte aus den Bereichen praktische oder technische Informatik? Ich meine, letztendlich gibt es IMHO die Bereiche Theoretische Informatik, Praktische Informatik, Technische Informatik und Angewandte Informatik. Zur angewandten Informatik zähle ich auch mal so Schwerpunkte, die den Einsatz von Informatiksystemen in Organisationen betreffen. Also: Wo wird man jenseits der Theoretischen Informatik nicht in erster Linie mit einer Werkzeugschau konfrontiert. Mir fällt da leider nicht wirklich etwas ein. Aber das kann natürlich auch an dem speziellen Lehrangebot liegen, das ich kennengelernt habe.

    ...im Übrigen bin ich durchaus ganz glücklich mit den Kursen, die ich im Studium mitgemacht habe. Ich sage nur, dass sich der Stoff qualitativ stark von dem eines Physikstudiums unterscheidet. Aber letztendlich habe ich durch das Informatikstudium einen riesigen Werkzeugkasten mitgekriegt, der mir eine sehr systematische Herangehensweise an informatische Probleme und Aufgabenstellungen ermöglicht. Das ist schon ziemlich geil.



  • Gregor schrieb:

    Naja, die Mathematik habe ich jetzt nicht gerade zur Theoretischen Informatik dazugerechnet. Die fällt ja auch im späteren Studium weg. Ok, mag sein, dass mein Schwerpunkt zu so einer Werkzeugschau geführt hat. Was hältst Du denn für "wissenschaftlichere" (also in meinem Sinn jetzt) Schwerpunkte aus den Bereichen praktische oder technische Informatik? Ich meine, letztendlich gibt es IMHO die Bereiche Theoretische Informatik, Praktische Informatik, Technische Informatik und Angewandte Informatik. Zur angewandten Informatik zähle ich auch mal so Schwerpunkte, die den Einsatz von Informatiksystemen in Organisationen betreffen. Also: Wo wird man jenseits der Theoretischen Informatik nicht in erster Linie mit einer Werkzeugschau konfrontiert. Mir fällt da leider nicht wirklich etwas ein. Aber das kann natürlich auch an dem speziellen Lehrangebot liegen, das ich kennengelernt habe.

    Da ich mich persönlich eher auf die Theoretischen Informatik spezialisiert habe, habe ich da auch nicht so den Überblick. Spontan würden mir vielleicht noch Technische Informatik Vorlesungen einfallen, die in Richtung Elektrotechnik gehen. Ich weiß allerdings nicht, ob du Elektrotechnik als Wissenschaft anerkennst ;).

    Meine Argumentation war aber auch eine andere: Ich behaupte, dass die Informatik zu einem großen Teil aus Theoretische Informatik besteht. Genauer gesagt, stellt imho Theoretische Informatik einfach das größte Teilgebiet der Informatik dar. Selbst Vorlesungen aus dem Softwaretechnik Bereich wie Compilerbau zählen (zumindest laut Wikipedia) auch zur Theoretischen Informatik.

    Gregor schrieb:

    ...im Übrigen bin ich durchaus ganz glücklich mit den Kursen, die ich im Studium mitgemacht habe. Ich sage nur, dass sich der Stoff qualitativ stark von dem eines Physikstudiums unterscheidet. Aber letztendlich habe ich durch das Informatikstudium einen riesigen Werkzeugkasten mitgekriegt, der mir eine sehr systematische Herangehensweise an informatische Probleme und Aufgabenstellungen ermöglicht. Das ist schon ziemlich geil.

    So ähnlich hat der Professor die Vorlesung auch begründet. Da der praktische Nutzen einer Vorlesung für mich aber eher zweitrangig ist, hätte mir etwas (wesentlich) mehr Tiefgang doch (wesentlich) besser gefallen. Ich hatte irgendwie die ganze Zeit das Gefühl, dass der Prof das Thema wechselt, sobald es gerade anfängt interessant zu werden...



  • Hallo zusammen,
    ich habe gerade nochmal nach diesem Thread geschaut und habe mir Freude festgestellt, dass sich wohl einiges getan hat. Ich habe eure Antworten noch nicht gelesen, doch das werde ich sicherlich bald machen und mich dann natürlich darauf beziehen. Vielen Dank 👍

    Ich habe auch schonmal an ein Doppelstudium gedacht. Ich könnte ja Informatik anfangen und sobald ich den Bachelor habe, fange ich auch mit der Physik an. Das würde aber so lange dauern. Irgendwann muss ich ja auch mal einen richtigen Job haben.

    Informatik oder Physik...vielleicht werde ich aus euren Antworten schlau!!

    Bis bald, vielen Dank, gute Nacht und liebe Grüße
    freakC++



  • Gregor schrieb:

    Ich habe natürlich auch nur subjektive Erfahrungen. Aber jenseits davon kenne ich natürlich auch Standardliteratur, die im Studium genutzt wird. Bleiben wir doch mal bei der Künstlichen Intelligenz. Ein absolutes Standardbuch in diesem Bereich ist "Artificial Intelligence - A Modern Approach".

    Aber da sist wirklich Lehrstuhl Abhängig. Bei dem von dir genannten Buch weiß ich, dass wir es in der Bibliothek haben, benutzt haben wir es nie. Unser Standardwerk war "Pattern Recognition and machine learning" - und dort gibt es keinerlei Anzeichen für Werkzeuge. Klar, es werden ein paar Verfahren beschrieben, aber das Buch beginnt bei den Grundlagen der Statistik und baut dann Seite für Seite immer mehr Verständnis für das Grundproblem auf - zum Beispiel was Regression ist, wie das funktioniert, was für verschiedene Ansätze es gibt...und das immer schön mathematisch hergeleitet. Dann stehen da mal 5-6 Seiten mathematische Herleitung(stark verkürzt) drin, nur weil der Author den LEser vom letzten Problem auf das nächste führen will.

    Ich denke, es hängt auch davon ab, wie viele Vorlesungen man hat. Wenn man natürlich nur 1-2 Vorlesungen über Maschinenlernen hat, dann kommt man da nicht sehr tief rein. Dann ist besser, nur die Werkzeuge zu Lehren. Wenn man aber wie wir, 7 Vorlesungen über das Zeug hat, dann kommste von der Theorie her ganz tief runter. Ein gutes Beispiel ist momentan meine Vorlesung über unüberwachtes lernen, die zwar in 2 Teile aufgesplittet ist, aber jeder Teil wunderbar zuende gedacht ist. Der erste Teil beginnt bei PCA, führt dann weiter über ICA und endet bei SFA. Und wirklich jeder Schritt auf dem Weg wird hergeleitet. Quasi von der Idee "was wollen wir machen?" über die Vorstellung wie eine Problemlösung aussehen sollte bis hin zur Herleitung aller Gleichungen. dabei steht ganz klar im Vordergrund, wie wir zum Verfahren kommen, auch wenn das bedeutet, dass wir wärhend der Vorlesung mal ne halbe Stunde elendig häßliche Gleichungen an der Tafel umformen.

    Also mit nem Werkzeugkasten hat das nichts zu tun. Eher das aktive Nutzen mathematischer Werkzeuge um neue Probleme zu lösen. In dem Sinne: wenn die Neuroinformatik richtig gelehrt wird, dann ist sie richtig wissenschaftlich. (Nicht umsonst arbeiten bei uns am Institut mehrheitlich Phsyiker...)

    Ich muss sogar sagen, dass ich, je weiter ich in diesen Vorlesungen komme, ich mehr und mehr merke, dass ich an die Grenzen dessen komme, was ich an mthematischen Grundlagen während des Studiums sammeln konnte. Ich höre immer öfter Sätze wie: "Kennt ihr das? *allgemeines schweigen*...ohh...na dann lernt ihrs jetzt kennen". und dabei haben wir Informatiker mit dem Schwerpunkt Neuroinformatik bereits eine Mathe-Vorlesung mehr... Für mich als jemand ohne aktiven Vergleich ist das zumindest schonmal ein sicheres zeichen dafür, dass wir zumindest nicht zu oberflächlich dran gehen.



  • Ich habe mal eine BWL-Vorlesung teilweise mitgehört; als erstes wurde argumentiert, dass dies eine Wissenschaft darstelle mit der Begründung "es werden schließlich formale Modelle genutzt". Allerdings meinte der Prof. bei den formalen Modellen eher hübsche Grafiken ;-). Beweis per Autorität war da zumindest anerkannt.

    Im Studium lerne ich neben dem Stoff, der selbstverständlich auch in der theoretischen Informatik "veraltet", viel mehr die Art und Weise, wie man strukturiert ein Modell untersucht. Übrigens ist die theoretische Informatik voller Programmierherausforderungen! 🙂



  • Ich habe die Beiträge im Schnelldurchgang gelesen. Es geht um die Selbstfindung der Fachrichtung Informatik und darum, was diese Fachrichtung zur Lösung praktischer Zielsetzungen rund um die 'Computerei' machen kann und welche Hilfestellung sie da konkret bietet. So mancher Softwareentwickler konnte mit Informatikern nichts anfangen, weil diese meinten, Programmieren gehöre nicht zum Job.
    ➡ An den Fragesteller: Suche dir ein handfestes Berufsziel aus den Natur- oder Ingenieurwissenschaften. Auch dort hast du es mit Computern und mit Programmieren zu tun, wenn das deine Leidenschaft ist. Dort streichen viele Informatiker einfach die Segel. Du bist dann besser!



  • berniebutt schrieb:

    Es geht um die Selbstfindung der Fachrichtung Informatik

    Ich glaube, das ist der zentrale Punkt.

    otze schrieb:

    Ich denke, es hängt auch davon ab, wie viele Vorlesungen man hat. Wenn man natürlich nur 1-2 Vorlesungen über Maschinenlernen hat, dann kommt man da nicht sehr tief rein. Dann ist besser, nur die Werkzeuge zu Lehren. Wenn man aber wie wir, 7 Vorlesungen über das Zeug hat, dann kommste von der Theorie her ganz tief runter. Ein gutes Beispiel ist momentan meine Vorlesung über unüberwachtes lernen, die zwar in 2 Teile aufgesplittet ist, aber jeder Teil wunderbar zuende gedacht ist. Der erste Teil beginnt bei PCA, führt dann weiter über ICA und endet bei SFA. Und wirklich jeder Schritt auf dem Weg wird hergeleitet. Quasi von der Idee "was wollen wir machen?" über die Vorstellung wie eine Problemlösung aussehen sollte bis hin zur Herleitung aller Gleichungen. dabei steht ganz klar im Vordergrund, wie wir zum Verfahren kommen, auch wenn das bedeutet, dass wir wärhend der Vorlesung mal ne halbe Stunde elendig häßliche Gleichungen an der Tafel umformen.

    Also mit nem Werkzeugkasten hat das nichts zu tun. Eher das aktive Nutzen mathematischer Werkzeuge um neue Probleme zu lösen. In dem Sinne: wenn die Neuroinformatik richtig gelehrt wird, dann ist sie richtig wissenschaftlich. (Nicht umsonst arbeiten bei uns am Institut mehrheitlich Phsyiker...)

    Klar, ich bezweifele nicht, dass man da auch unglaublich in die Tiefe gehen kann. Aber das entspricht nicht gerade meiner subjektiven Erfahrung. 7 Vorlesungen im Schwerpunkt allerdings auch nicht, kann also sein, dass das bei euch wirklich wesentlich tiefgehender ist.

    Aber ich finde Deine Anmerkung mit den Physikern interessant. Ähnliches stelle ich hier auch fest. Es arbeiten jede Menge Mathematiker, Physiker, Elektrotechniker und andere an Informatik-Instituten. Ich hoffe, dass das ausschließlich daran liegt, dass die Informatik noch sehr jung ist und somit der Nachwuchs noch nicht in dem Maße da war, als die entsprechenden Stellen vergeben wurden. Alles andere wäre ja eine Katastrophe: "Wen setzen wir denn mal auf die Stelle? Leute, die wir selbst ausgebildet haben? Ne, lieber welche aus anderen Bereichen, die sind dafür geeigneter." Naja, wie dem auch sei: Die Tatsache, dass so viele Leute aus fremden Fachgebieten Professoren und Dozenten in der Informatik sind, heißt letztendlich, dass diese Disziplin noch nicht wirklich zusammengewachsen ist. Wenn jemand aus der Physik kommt und dann meinetwegen irgendwo in die Mustererkennung oder so geht, dann heißt das noch lange nicht, dass er die Informatik im Ganzen kennt oder begreift. Es ist sogar definitiv eher das Gegenteil anzunehmen. Die Dozenten haben oft nur einen Einblick in einen kleinen Teil der Informatik. Das ist kein guter Ausgangspunkt, um ein Studium anzubieten, das "etwas Ganzes" und nicht nur eine Ansammlung von lose verbundenen Teilgebieten sein soll. Naja, ich erwarte, dass sich das in den kommenden Jahren stark ändert. Der Anteil der Informatiker unter den jüngeren Informatikprofessoren erscheint mir höher zu sein.

    Aber das ist auch ein gutes Indiz dafür, dass die Informatik nach wie vor stark im Wandel ist. So gesehen ist es äußerst interessant, heutzutage in die Informatik einzusteigen. Da kann man noch aktiv am Wandel teilnehmen und dazu beitragen.



  • Gregor: Wie soll das gehen mit "etwas Ganzes" in der Informatik? Sobald es um konkrete Anwendungsbereiche geht, ist oft das spezielle Fachwissen dieser Bereiche gefragt. Das kann so niemand allein leisten. Also geht es um die Bereitschaft und das Können zur interdisziplinären Zusammenarbeit. Der Informatiker soll und muss da Hilfestellung zur Lösung geben und das Detailwissen den anderen überlassen. Mir scheint, genau hier gibt es noch Defizite im Fachbereich Informatik. Zugegeben, das ist etwas Neues, aber ganz so neu auch wieder nicht. Den Universalkönner gibt es heute nicht mehr oder er hat von allem nur eine Grundahnung, was dann in der Praxis nicht reicht!



  • berniebutt schrieb:

    Gregor: Wie soll das gehen mit "etwas Ganzes" in der Informatik? Sobald es um konkrete Anwendungsbereiche geht, ist oft das spezielle Fachwissen dieser Bereiche gefragt. Das kann so niemand allein leisten. Also geht es um die Bereitschaft und das Können zur interdisziplinären Zusammenarbeit. Der Informatiker soll und muss da Hilfestellung zur Lösung geben und das Detailwissen den anderen überlassen. Mir scheint, genau hier gibt es noch Defizite im Fachbereich Informatik. Zugegeben, das ist etwas Neues, aber ganz so neu auch wieder nicht. Den Universalkönner gibt es heute nicht mehr oder er hat von allem nur eine Grundahnung, was dann in der Praxis nicht reicht!

    Naja, also erstmal gibt es eine ganze Menge Dinge in der Informatik, die noch loser am Rest hängen als diese ganzen Werkzeuge, die man lernt. Ich weiß nicht, ob das heute noch so ist, aber wir hatten beispielsweise eine Vorlesung über genau das Thema, das in diesem Thread behandelt wird. Also eine Vorlesung, in der es unter anderem um die Frage ging, was Informatik ist, wie diese Disziplin mit anderen Fachrichtungen und mit der Gesellschaft wechselwirkt und so weiter. Das war eine Pflichtvorlesung im Grundstudium, über die es sogar eine Prüfung gab. Eine weitere Pflichtveranstaltung hatte die Wirtschaftsinformatik, bzw. gerade die Wechselwirkung von Informatik-Anwendungen mit Unternehmen zum Thema.

    Man mag ja gerne die ganze Zeit von Interdisziplinarität reden oder davon, dass man auch das Umfeld seiner Disziplin kennen sollte, aber soetwas hat keine (andere) harte Wissenschaft nötig. In diesen Vorlesungen wurde praktisch ausschließlich Faktenwissen vermittelt, das zu großen Teilen subjektiv war. Soetwas sollte IMHO nicht Teil eines Studium sein. Stattdessen sollte den Studenten empfohlen werden, ein entsprechendes Buch zu lesen. Eine weitere Pflichtvorlesung hatte natürliche Informationsverarbeitung zum Thema. Da hat man also etwas über optische Illusionen gelernt und man hat auch mitgekriegt, dass der Mensch ungefähr 7 Dinge in seinem Kurzzeitgedächtnis behalten kann. Auch das betrifft IMHO eher das Umfeld der Informatik. Dort ging es mehr um Kognition. Klar, das kann interessant sein, aber IMHO nicht als Pflichtprogramm für Informatiker. Ok, dann geht es weiter... Ich hatte die Vorlesung über eingebettete Systeme ja schon erwähnt. Und ich verstehe immer noch nicht, warum ein Informatiker in dem Zusammenhang unbedingt etwas über "Non-recurring engineering costs" lernen muss. Klar, das Gebiet der Eingebetteten Systeme unterliegt wirtschaftlichen Constraints, aber sollte man in einem Informatikstudium nicht in erster Linie lernen, was die Informatik in so einem Gebiet bietet? Was die informatischen Methoden in dem Gebiet sind? Ich glaube, dass soetwas in anderen Ingeneursstudiengängen weniger thematisiert wird.

    Zumindest habe ich den Eindruck, dass man (bzw. ich damals) im Informatikstudium jede Menge lernt, was eigentlich nicht direkt mit der Thematik zu tun hat. Teilweise hat es sogar so gewirkt, dass man durch die andauernde Betonung von Interdisziplinarität, Praxis und so weiter versucht hat, sich ja nicht mit der eigentlichen Informatik auseinanderzusetzen.

    IMHO sollte der, der interdisziplinär arbeiten will, erstmal dafür sorgen, dass er den anderen Disziplinen jede Menge Fachwissen aus seiner eigenen Disziplin anbieten kann.

    Dann hatten wir damals im Grundstudium im Rahmen der Technischen Informatik Elektrotechnik. Also Elektrotechnik auf Schulniveau. Man hat eben das Ohm'sche Gesetz und so kennengelernt. Später wurde die Elektrotechnik dann aus dem Lehrplan gestrichen. IMHO aus gutem Grund. Das ist Wissen, das dem Informatiker nur sehr beschränkt nutzt. Ein Informatiker arbeitet einfach auf einer anderen Ebene. Für die Elektrotechnik setzt man Elektrotechniker und nicht Informatiker ein. Aber da ging es eben auch darum, dass ein Informatiker halt "die Grundlagen" für die Informatik kennen sollte.

    Naja, ich frage mich im Nachhinein, warum ich manches gelernt habe und ob es im Rahmen der Informatik nicht wichtigere und fundamentalere Dinge zu lernen gibt. Ich bin davon überzeugt, dass es die gibt und ich denke auch, dass diese Dinge sich mit der Zeit im Informatikstudium einen größeren Platz erkämpfen werden. Andere Studieninhalte werden dafür mit der Zeit aus dem Studium rausgedrängt werden. Ich vermute einfach mal, dass das, was übrig bleibt, ein wesentlich homogeneres Gesamtbild darstellen wird.

    Ein Hauptproblem an der Frage, was Informatik ist, ist doch, dass die Informatik alles mögliche sein will. Ich glaube nicht, dass das auf Dauer so bleiben wird. Spezielle Ausrichtungen und Wechselwirkungen der Informatik mit anderen Bereichen sollten der Inhalt von Schwerpunkten sein und nicht der Inhalt von Grundlagenveranstaltungen. In Grundlagenveranstaltungen gehört IMHO der Kern dessens was eine Disziplin ausmacht.



  • Was macht denn die Informatik aus und was ist dessen Kern? Und wie ist das bei der Elektrotechnik? Ich verstehe die Frage nicht.



  • scrub schrieb:

    Was macht denn die Informatik aus und was ist dessen Kern? Und wie ist das bei der Elektrotechnik? Ich verstehe die Frage nicht.

    Naja, wenn ich in Wikipedia gucke, was Informatik sein soll, dann steht da als erster Satz

    Informatik ist die Wissenschaft von der systematischen Verarbeitung von Informationen, insbesondere der automatischen Verarbeitung mit Hilfe von Rechenanlagen.

    Wenn ich das lese, dann habe ich dabei ein Diagramm in der Art da im Kopf:

    http://www.itas.fzk.de/tatup/033/seite60.jpg

    (ignoriert da mal das "komplex" und das "berechenbar")

    Wenn ich von einem Informatikkern rede, dann meine ich das, was in dem Diagramm rechts von der Mauer liegt. Mir ist allerdings klar, dass die allgemeine Vorstellung von Informatik die Bereiche auf beiden Seiten der Mauer einschließt. Und ich frage mich, wo man nach einem Informatikstudium in diesem Diagramm eigentlich steht. Ich habe das Gefühl, weder links noch rechts von der Mauer zu stehen und auch nicht auf beiden Seiten der Mauer. Stattdessen habe ich den Eindruck, praktisch als Schnittstelle anstelle der Mauer zu stehen. Ganz rechts stehe ich nicht, denn für meinen Geschmack war zu wenig Theorie im Studium ich fühle mich dort zumindest nicht verankert. Ganz links stehe ich auch nicht, denn dazu gehört eigentlich auch die ganze Wechselwirkung mit dem Anwendungsgebiet, also auch eine Menge Detailwissen zum Anwendungsgebiet. Das kann durch das Studium natürlich nicht gegeben sein, weil sich das Anwendungsgebiet von Fall zu Fall ändert.

    Also, ich habe eigentlich den Eindruck, dass man im Informatikstudium in die Lage gebracht wird, diese Schnittstelle zu sein. Man bedient sich der Theorie und wird auf anderer Seite auch in die Lage versetzt, die Schnittstelle zur "Lebenswelt" herzustellen. Wenn man sich hingegen eine Naturwissenschaft oder Mathematik ansieht, dann bezieht sich das Studium dort fast ausschließlich auf den Bereich rechts von der Mauer. ...also wenn man dieses Bild auf die jeweilige Disziplin überträgt.

    ...btw: Da ist die Quelle für das Diagramm oben: http://www.itas.fzk.de/tatup/033/rolf03a.htm



  • Gregor schrieb:

    Klar, ich bezweifele nicht, dass man da auch unglaublich in die Tiefe gehen kann. Aber das entspricht nicht gerade meiner subjektiven Erfahrung. 7 Vorlesungen im Schwerpunkt allerdings auch nicht, kann also sein, dass das bei euch wirklich wesentlich tiefgehender ist.

    ja, bei uns ist das so geregelt, dass wir einen theoretischen und einen praktischen Schwerpunkt haben. Im praktischen Teil machen sie das ganze Ingenieurszeugs, elektrotechnik, automatisierungstechnik, CAD, etc. Im anderen Schwerpunkt machen wir Neuroinformatik und Computerlinguistik. Ich habe das grad nochmal nachgeschaut, im Bachelor haben wir 4 Neuro-Veranstaltungen, im Master 6. Und das Computerlinguistik zeugs schlägt in die Gleiche Bresche (nur von der Anwendungsseite, also Computerlinguistik als Anwendung der Neuroinformatik). Dann ist es klar, dass wir auch wesentlich tiefer gehen können als ihr, weil wir einfach ne Menge rausgeworfen haben, was eher für die Industrie und Wirtschaft interessant ist.

    Aber ich finde Deine Anmerkung mit den Physikern interessant. Ähnliches stelle ich hier auch fest. Es arbeiten jede Menge Mathematiker, Physiker, Elektrotechniker und andere an Informatik-Instituten. Ich hoffe, dass das ausschließlich daran liegt, dass die Informatik noch sehr jung ist und somit der Nachwuchs noch nicht in dem Maße da war, als die entsprechenden Stellen vergeben wurden.

    Meine beobachtung ist eher, dass wesentlich mehr Physiker als Informatiker angestellt werden, aber nur sehr wenig Mathematiker. Zumindest in der Neuroinformatik - bei den Softwaretechnik Leuten sieht es wieder anders aus.
    Dass es mehr Physiker als Mathematiker sind, ist schnell erklärt: die Informatik bevorzugt hemmungslose Pragmatiker. Natürlich muss die Mathematik stimmen, aber wenn auf einem Term "du kannst mich nicht berechnen" geschrieben steht, dann muss man auch mal fünfe Grade sein lassen und sich überlegen, wie man das Ding irgendwie doch berechnen kann. Im Resultat sind einige der entwickelten Algorithmen nur empirisch beweisbar. Mathematiker finden das immer schrecklich ;). Die gehen deswegen eher in die theoretische Informatik oder andere Wissenschaften.

    Dass Physiker häufiger gewählt werden, liegt an einem traurigen Fakt: Die durchschnittliche Informatikerausbildung an den Unis reicht nicht aus, um Forschung in den theoretischen Bereichen der Informatik zu betreiben. Im durchschnittlichen Informatikstudiengang wird die Anwendung in den Vordergrund gestellt, die Mathematik aber vernachlässigt. Deswegen haben wir bei uns im Schwerpunkt auch eine weitere Mathevorlesung. Die wurde vom Institut freiwillig zusätzlich angeboten und zur Pflicht erklärt, weil sie sonst mit ihrem Stoff einfach nicht voran kamen. Und selbst mit dieser Veranstaltung kommen wir sehr schnell an unsere Grenzen. Sowas wie die "restricted Boltzman machine" ist einfach nicht begreifbar, wenn man sich grade so über Wasser halten kann. Deswegen heißts ab und zu in den Vorlesungen einfach : "wir machen jetzt mal Mathematik und hauen die Theorie der Bayeschen- und Gibsnetzwerke einmal durch bevor wir weiter machen können".

    Und trotz all dieses Zusatzwissens, bin ich nicht in der Lage, das wegweisende Paper über natural gradients zu verstehen. Es ist einfach Frustration pur, wie viel mehr Wissen über die Mathematik in den ganzen Theorien steckt.

    Das merken wir dann auch, wenn wir Aufgaben vorrechnen wollen, eine Lösung präsentieren, und der Prof meint: "Ja, das ist okay, aber habt ihr auch folgenden Fall bedacht?". Dann zieht er meist irgendeinen Sonderfall aus der Tasche, und wir stehen davor und sagen nur: "bis vor 5 Sekunden wussten wir nichtmal, dass es sowas gibt". Ein andere Klassiker ist auch: "Eure Lösung gilt nur, wenn die Funktion folgende Eigenschaft erfüllt: *magisches Theorem*".

    Klingt jetzt natürlich weinerlich. Und es geht auch eigentlich nicht darum, dass ich nicht alles weiß - das ist klar, deswegen studier ich ja. Aber ich werde einfach das Gefühl nicht los, dass Informatiker in dem Bereich wie kleine tapsende Schafe zwischen hungrigen Wölfen sind. Irgendwo gibt es immer eine tödliche Falle in die man aus Unwissen rein rennt. Da skönnte auch erklären, warum dieser Bereich von Phsyikern dominiert wird, die ein wesentlich tieferes mathematisches Verständnis haben.

    //edit Zitat Prof für dynamische Systeme nachdem wir zum wiederholten male bei mathematischen Wissensfragen den Kopf schütteln: "Was bringt man euch eigentlich in eurem Studium bei?".



  • Gregor schrieb:

    ... Man mag ja gerne die ganze Zeit von Interdisziplinarität reden oder davon,...
    ... sollte der, der interdisziplinär arbeiten will, erstmal dafür sorgen, dass er den anderen Disziplinen jede Menge Fachwissen aus seiner eigenen Disziplin anbieten kann.

    Wie willst du das machen mit so vielen Worten und Erklärungen, die kein anderer versteht? Jeder aus einer herkömmlichen Ingenieurwissenschaft wie Elektrotechnik, Maschinenbau, Bauingenieur, Architektur kann sein eigenes Wissen erfolgreich interdisziplinär woanders anbieten. Das lernt man dort, weil man eine klar definierte fachliche Grundlage hat!

    Denkt aber bitte alle an die konkrete urspüngliche Fragestellung: Soll ich Informatik als Ausbildungsziel wählen oder meine Interessen besser woanders suchen? Wir hier im Forum sollten ihm bei dieser Frage helfen. Die Entscheidung muss er dann selbst finden.


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