Was ist Informatik?
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So ziemlich alles was ich bisher im Informatik-Bereich gesehen habe hat sich letztlich doch auf Erkenntnis ausgerichtet: Natürlich werden hier und da auch Systeme entwickelt, die gewisse Aufgaben gut lösen, aber bei allem was ich bis jetzt gesehen habe, stand dahinter doch immer eine Frage, nämlich wie löst man Aufgabe X effizient bzw. wie entwirft man Systeme, die gewisse Eigenschaften haben. Dass irgendjemand das Produkt ins Zentrum stellt habe ich bis jetzt nur in wirschaftsnahen Einrichtungen gesehen.
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Jester schrieb:
So ziemlich alles was ich bisher im Informatik-Bereich gesehen habe hat sich letztlich doch auf Erkenntnis ausgerichtet: Natürlich werden hier und da auch Systeme entwickelt, die gewisse Aufgaben gut lösen, aber bei allem was ich bis jetzt gesehen habe, stand dahinter doch immer eine Frage, nämlich [...] wie entwirft man Systeme, die gewisse Eigenschaften haben. Dass irgendjemand das Produkt ins Zentrum stellt habe ich bis jetzt nur in wirschaftsnahen Einrichtungen gesehen.
Was genau ist bei Dir der Unterschied zwischen einem Produkt und einem System, das entwickelt wird? Vielleicht ist der entscheidende Begriff hier "Entwicklung". Es geht darum, etwas zu entwickeln, aber es geht nicht darum, etwas zu erforschen. ...jenseits der theoretischen Informatik meine ich.
Ok, vielleicht kommen bei einem "Produkt" noch wirtschaftliche Rahmenbedingungen hinzu. Aber selbst auf soetwas wurde bei uns eingegangen. ...in einer Vorlesung über Eingebettete Systeme. In der gesamten Vorlesung ging es natürlich darum, wie man die Entwicklung so eines Systems angeht. Ähnliches Vorgehen gab es auch in Vorlesungen der praktischen Informatik.
knivil schrieb:
Ich habe massive Einblicke ins Physik- und Informatikstudium
Ich auch. Aber vielleicht liegt es auch an den Kursen, die bei dir angeboten werden.
Oh, interessant. Darf man fragen, was Du so gemacht hast und was Deine Schwerpunkte waren oder sind?
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Und was machen Mathematiker? Sie entwickeln eigentlich auch nur Dinge. Forschen kann man dann auch nicht mehr sagen, da sie einzig und allein formale Methoden anwenden. Das Problem ist wohl eher, dass Geisteswissenschaftler wie Informatiker oder Mathematiker keinen Gegenstand haben, den sie erforschen oder untersuchen. Da hat es die Physik, Biologie oder Chemie einfacher.
Oh, interessant. Darf man fragen, was Du so gemacht hast und was Deine Schwerpunkte waren oder sind?
Schwerpunkte an sich gibt es nicht, da ich in meinem Studium aus den Bereichen praktische, angewandte, theoretische und technische Informatik eine Mindestanzahl von Leistungspunkten erbringen mussten (Diaktik habe ich glatt mal unter den Tisch fallen lassen). Jetzt hat man natuerlich die Wahl, ob man sich nun mit Protokollen a la CSMA/CD in einer Vorlesung herumschlaegt oder aber sich mit contraint programming beschaeftigt. Ersteres wuerde in Richtung Ingenieursdisziplin gehen, letzteres ist wohl "wissenschaftlicher". (In Physik habe ich alle theoretischen Kurse: Mechanik, Elektro-, Thermodynamik Quanten 1+2, Zufallsprozess und Nichtlineare Dynamik besucht, Experimentalphysik habe ich abgelehnt :)).
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knivil schrieb:
Und was machen Mathematiker? Sie entwickeln eigentlich auch nur Dinge. Forschen kann man dann auch nicht mehr sagen, da sie einzig und allein formale Methoden anwenden. Das Problem ist wohl eher, dass Geisteswissenschaftler wie Informatiker oder Mathematiker keinen Gegenstand haben, den sie erforschen oder untersuchen. Da hat es die Physik, Biologie oder Chemie einfacher.
Mathematiker haben einen Gegenstand, den sie untersuchen. Nämlich abstrakte Strukturen. Praktisch die gleiche Klasse an Gegenständen, die auch die theoretische Informatik zur Untersuchung hat. Und ich sehe die Mathematik auch als Wissenschaft. Es geht in der Mathematik darum, Aussagen über die betrachteten Strukturen zu treffen und diese zu beweisen. Da geht es IMHO eindeutig um Erkenntnisgewinn.
Naja, also ich sehe da zumindest einen Unterschied im Vergleich zu Fragen wie "Wie entscheide ich, ob ich ein System auf einem FPGA realisiere oder doch lieber einen Standard µController dafür nehme?".
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Mathematiker haben einen Gegenstand
Gut, ich habe mich etwas unklar ausgedrueckt: Ich meinte einen Gegenstand aus der Natur. Deswegen ist es ja auch keine Naturwissenschaft, eher einen Geisteswissenschaft ... *duck und weg
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knivil schrieb:
Oh, interessant. Darf man fragen, was Du so gemacht hast und was Deine Schwerpunkte waren oder sind?
Schwerpunkte an sich gibt es nicht, da ich in meinem Studium aus den Bereichen praktische, angewandte, theoretische und technische Informatik eine Mindestanzahl von Leistungspunkten erbringen mussten (Diaktik habe ich glatt mal unter den Tisch fallen lassen). Jetzt hat man natuerlich die Wahl, ob man sich nun mit Protokollen a la CSMA/CD in einer Vorlesung herumschlaegt oder aber sich mit contraint programming beschaeftigt. Ersteres wuerde in Richtung Ingenieursdisziplin gehen, letzteres ist wohl "wissenschaftlicher". (In Physik habe ich alle theoretischen Kurse: Mechanik, Elektro-, Thermodynamik Quanten 1+2, Zufallsprozess und Nichtlineare Dynamik besucht, Experimentalphysik habe ich abgelehnt :)).
Was war das für ein Studium? Sieht nach einem ganz schön anspruchsvollen Programm aus.
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Der ganze Teil Physik war freiwillig. Aber damit ich auch motiviert bin habe ich die Klausuren mitgeschrieben und die entsprechenden Leistungsscheine mit Note gemacht.
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@Gregor: Mag sein, dass du dir selbst eine Klassifikation in Ingenieursdisziplin und Wissenschaft zurechtlegst, letztlich sollte man aber schon anerkennen, dass Informatik nunmal als Wissenschaft definiert ist. So weit sollte man über den Tellerrand schauen können.
Dass alles außer der theoretischen Informatik rein produktentwicklungsfokusiert ist, würde ich so auch nicht sagen. Nehmen wir ein klassisches Beispiel. Was sagst du zum Gebiet der Wissensverarbeitung / künstl. Intelligenz? Einerseits mag sich ein Expertensystem gut in ein Produkt einbinden lassen, andererseits besteht schon lange der Wunsch, Erkenntnisse darüber zu gewinnen, wie sich gedankliche Prozesse analog zum menschlichen Denken in irgendeiner Art abbilden lassen. Wissenschaftlich oder produktorientiert? Oder ist das für dich dann einfach theoretische Informatik?
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marco.b schrieb:
@Gregor: Mag sein, dass du dir selbst eine Klassifikation in Ingenieursdisziplin und Wissenschaft zurechtlegst, letztlich sollte man aber schon anerkennen, dass Informatik nunmal als Wissenschaft definiert ist. So weit sollte man über den Tellerrand schauen können.
Pfff, was heißt da Tellerrand. Ich habe mich lange genug mit Informatik beschäftigt, um zu wissen, was man darunter alles verstehen kann. Wenn man die Informatik als Wissenschaft oder etwas anderes klassifiziert, dann ist nie wirklich passend. Die Informatik hat dazu zu viele Facetten. Aus meiner Sicht gibt es auch keine Autorität, die die Informatik einfach so als Wissenschaft definieren kann. Du sagst ja praktisch "Die Informatik ist eine Wissenschaft, weil sie so definiert ist". Das ist aus meiner Sicht eine etwas unbefriedigende Argumentation. Naja, aber wie dem auch sei: Mir ist eigentlich völlig egal, ob Du oder die anderen hier die Informatik als Wissenschaft sehen. Mir kam es darauf an, deutlich zu machen, dass sich die Informatik ganz beträchtlich von der Physik unterscheidet. Und zwar was die Qualität des Stoffs, die Zielsetzungen und die Arbeitsweisen betrifft. Ich hoffe, dass das angekommen ist. In der Informatik liegt der Fokus in weiten Bereichen darauf, wie man etwas macht. Man lernt auf verschiedenen Ebenen wie man informatische Systeme entwickelt. Angefangen bei der Entwicklungsmethodik, dann über ein breites Methoden- bzw. Werkzeugwissen und über Designaspekte hin zu Details in der Implementierung.
Deshalb sage ich auch, dass Informatik DAS Studium ist, wenn es einem ums Programmieren geht. Man kriegt in diesem Studium unglaublich viel mit was man bei der Programmierung praktisch anwenden kann.
marco.b schrieb:
Dass alles außer der theoretischen Informatik rein produktentwicklungsfokusiert ist, würde ich so auch nicht sagen. Nehmen wir ein klassisches Beispiel. Was sagst du zum Gebiet der Wissensverarbeitung / künstl. Intelligenz? Einerseits mag sich ein Expertensystem gut in ein Produkt einbinden lassen, andererseits besteht schon lange der Wunsch, Erkenntnisse darüber zu gewinnen, wie sich gedankliche Prozesse analog zum menschlichen Denken in irgendeiner Art abbilden lassen. Wissenschaftlich oder produktorientiert? Oder ist das für dich dann einfach theoretische Informatik?
Ich fasse "Wissensverarbeitung / künstl. Intelligenz" mal zu KI zusammen. Letztendlich ist die KI ein sehr sehr breites Gebiet und wenn man Wikipedia anguckt, dann wird dieser Bereich dort als eigener Unterbereich der Informatik gewertet. Mir sind allerdings Universitäten bekannt, die die KI der theoretischen Informatik zuordnen und auch Universitäten, die diesen Bereich der praktischen Informatik zuordnen.
Also ich kann nur sagen wie ich die Lehre der KI in der Uni wahrgenommen habe. Aus meiner Sicht wurden mir da Werkzeuge beigebracht. Ich begreife zum Beispiel künstliche neuronale Netze als Werkzeug, das ich bei entsprechenden Aufgabenstellungen einsetze. Ebenso sehe ich Fuzzy Logic oder Beschreibungslogiken oder die ungefähr 1000 weiteren Werkzeuge, die ich in dem Zusammenhang kennengelernt habe. Klar, hinter Werkzeugen wie den Beschreibungslogiken steckt auch eine ganze Menge strukturelles Wissen, das auch systematisch erschlossen wird, aber ehrlich gesagt kommt davon IMHO nicht wirklich viel bei den Studenten an. Der Punkt ist einfach, dass die Informatik (noch) relativ nah an der praktischen Anwendung liegt. Man sieht das ja auch in den Wunschprofilen, die man in Jobangeboten findet. Und entsprechend ist die Lehre auch größtenteils auf die praktische Anwendung ausgerichtet. Klar, die FH ist da dann noch ein bischen praktischer als die Uni, aber letztendlich sind beide größtenteils auf die praktische Anwendung ausgerichtet. Dijkstra hat mal gesagt, dass man die Informatik streng von der praktischen Anwendung trennen sollte. Wenn man das tun würde dann würde ich durchaus sagen, dass sie in erster Linie den Charakter einer Wissenschaft hat. Aber an dem Punkt sind wir noch nicht. Sein Ausspruch "In der Informatik geht es genauso wenig um Computer wie in der Astronomie um Teleskope" stimmt nunmal nicht mit der Lehre an Universitäten überein. Die Informatik hat heutzutage noch unglaublich viel mit dem Arbeiten mit Computern zu tun.
EDIT: Ich habe gerade mit Christoph über die ganzen Werkzeuge in der Informatik geredet. ...möglicherweise ist der entscheidende Punkt einfach, dass einem in der Informatik Unmengen an Werkzeugen vorgestellt werden. Man geht bei diesen Werkzeugen nicht in die Tiefe, sondern zeigt sie praktisch nur sehr kurz den Studenten und sagt, wo man sie anwenden kann.
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Gregor schrieb:
Jester schrieb:
So ziemlich alles was ich bisher im Informatik-Bereich gesehen habe hat sich letztlich doch auf Erkenntnis ausgerichtet: Natürlich werden hier und da auch Systeme entwickelt, die gewisse Aufgaben gut lösen, aber bei allem was ich bis jetzt gesehen habe, stand dahinter doch immer eine Frage, nämlich [...] wie entwirft man Systeme, die gewisse Eigenschaften haben. Dass irgendjemand das Produkt ins Zentrum stellt habe ich bis jetzt nur in wirschaftsnahen Einrichtungen gesehen.
Was genau ist bei Dir der Unterschied zwischen einem Produkt und einem System, das entwickelt wird?
Nichts, Du mußt den Satz weiter lesen. Es steht eben nicht das Produkt/System im Vordergrund, sondern eine Fragestellung dahinter. Na klar kannst Du sagen "neuronale Netze sind für mich nur ein Werkzeug". Du verkennst dabei aber, dass so ein Werkzeug zwei Seiten hat: die einen benutzen es um Produkte zu entwickeln, während andere neue Werkzeuge schaffen bzw. sie verbessern. Der zweite Teil ist nicht wirklich produktorientiert. Allerdings spielt dort oft auch ein Produkt eine wichtige Rolle: um die Leistungsfähigkeit des neuen Ansatzes zu belegen wird eben oft ein Produkt mitentwickelt, das die Leistungsfähigkeit belegt.
Bloß weil am Schluß auch noch ein Produkt abfällt heißt das nicht, dass die Arbeit nicht wissenschaftlich ist. Genausowenig wie man sagen kann, dass jemand offensichtlich wissenschaftlich arbeitet, weil am Ende nix rauskommt. :p
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Gregor schrieb:
Mir kam es darauf an, deutlich zu machen, dass sich die Informatik ganz beträchtlich von der Physik unterscheidet.
Sicher. Deshalb ist Physik auch eine Naturwissenschaft und Informatik teils Struktur-, teils Ingenieurswissenschaft.
Gregor schrieb:
Klar, hinter Werkzeugen wie den Beschreibungslogiken steckt auch eine ganze Menge strukturelles Wissen, das auch systematisch erschlossen wird, aber ehrlich gesagt kommt davon IMHO nicht wirklich viel bei den Studenten an.
Mag an vielen (Fach)hochschulen so sein, kann ich nicht sagen (kannst du es? An wie vielen Unis hast du denn studiert?)
Aber am Gymnasium werden Physik und Mathematik auch anwendungsorientiert gelehrt, trotzdem handelt es sich bei beiden um eine Wissenschaft. Will meinen: Ich verstehe dieses Argument nicht ganz. Es gibt Einrichtungen, in denen ein bestimmter Lehrstoff nur anwendungsorientiert vermittelt wird. Also entspringt der Lehrstoff keiner Wissenschaft?
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Man muss aber auch mal sehen, dass Wikipedia 105 Seiten zur theoretischen Informatik und 7 Seiten zur praktischen Informatik zählt. Wenn man das mal als repräsentativ ansehen würde, so müsste man also selbst nach Gregors Meinung die Informatik zu 93.75% als Wissenschaft ansehen ;).
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life schrieb:
Man muss aber auch mal sehen, dass Wikipedia 105 Seiten zur theoretischen Informatik und 7 Seiten zur praktischen Informatik zählt. Wenn man das mal als repräsentativ ansehen würde, so müsste man also selbst nach Gregors Meinung die Informatik zu 93.75% als Wissenschaft ansehen ;).
Tausende von Seiten sind mit Hardware und Softwarebeschreibungen voll. http://de.wikipedia.org/wiki/Sinclair_ZX81
Ist halt die Frage, ob der Mediamarkt-Verkäufer ein Informatiker ist.
In meinem Studium(FH) waren Produktvorstellungen immer nur nebensächlich, die einzigen Produkte, die ganze Vorlesungen (, die halb zu Werbeveranstaltungen verkamen,) begleiteten gabs in "Client-Server-Geschmuse am Beispiel Oracle mit Corba", "Softwareentwicklung per Mausklick mit ...{Name vergessen, so unwichtig war's}", "halbherzig Programmieren mit Java". Aber da ging man auch nicht raus und hatte das Gefühl, was gelernt zu haben, das sind doch nur "Chef, gib mir Handbuch und am Montag kann ich's"-Sachen. Ich kann mir nicht vorstellen, daß es Studienrichtungen gibt, wo es solche komischen Scheine nicht gibt.
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marco.b schrieb:
Gregor schrieb:
Klar, hinter Werkzeugen wie den Beschreibungslogiken steckt auch eine ganze Menge strukturelles Wissen, das auch systematisch erschlossen wird, aber ehrlich gesagt kommt davon IMHO nicht wirklich viel bei den Studenten an.
Mag an vielen (Fach)hochschulen so sein, kann ich nicht sagen (kannst du es? An wie vielen Unis hast du denn studiert?)
Aber am Gymnasium werden Physik und Mathematik auch anwendungsorientiert gelehrt, trotzdem handelt es sich bei beiden um eine Wissenschaft. Will meinen: Ich verstehe dieses Argument nicht ganz. Es gibt Einrichtungen, in denen ein bestimmter Lehrstoff nur anwendungsorientiert vermittelt wird. Also entspringt der Lehrstoff keiner Wissenschaft?Ich habe natürlich auch nur subjektive Erfahrungen. Aber jenseits davon kenne ich natürlich auch Standardliteratur, die im Studium genutzt wird. Bleiben wir doch mal bei der Künstlichen Intelligenz. Ein absolutes Standardbuch in diesem Bereich ist "Artificial Intelligence - A Modern Approach". Das wird definitiv in vielen Universitäten als Grundlage für entsprechende Veranstaltungen genutzt. Das ist zugegebenermaßen ein höchst interessantes Buch, aber wenn man es durchblättert, sieht man eigentlich, dass es ein reiner Werkzeugkatalog ist. In dem Buch werden einem zu etlichen Problemen noch mehr Werkzeuge vorgestellt. In die Tiefe wird dabei nicht gegangen, stattdessen ist der Autor in erster Linie darum bemüht, dem Leser einfach nur einen möglichst breiten Werkzeugkasten zu vermitteln. Die ganzen Werkzeuge und Probleme hängen dabei IMHO auch nur sehr lose zusammen. Das ist genau den Eindruck, den ich fast im gesamten Informatikstudium hatte. In fast allen Veranstaltungen gab es so eine sehr oberflächliche Werkzeugschau, die darauf ausgelegt war, den Studenten in die Lage zu versetzen, entsprechende informatische Probleme in der Praxis anzugehen. Der lose Zusammenhang, den ich in der KI angesprochen habe, ist natürlich im gesamten Info-Studium vorhanden. In den Vorlesungen über theoretische Informatik ist das ganz anders. Dort lernt man zwar auch etwas über Strukturen, die als Werkzeug dienen können, aber der Stoff wird wesentlich tiefgehender behandelt.
Klar, ihr sagt jetzt, dass hinter all diesen Werkzeugen, die man beispielsweise in der KI kennenlernt, jede Menge Struktur und Wissenschaft stecken. Aber die entscheidende Frage ist doch, was einem im Studium vermittelt wird. Es wird eben nicht vermittelt, wie man derartige Werkzeuge entwickelt oder erforscht. Stattdessen wird vermittelt, welche Werkzeuge vorhanden sind und in welchem Zusammenhang man sie nutzen kann. Vermutlich geht das im Großen und Ganzen auch gar nicht anders. Ich bezweifle, dass es dort eine einheitliche Werkzeug-Entwicklungsmethodik gibt. In der Physik ist das anders. Was in der Informatik aus meiner Sicht ein Werkzeug ist, ist in der Physik eine Formel. Da lernt man in der Schule einige Formeln kennen und wendet sie an. Im Studium lernt man hingegen die Struktur hinter den Formeln kennen und es wird einem beigebracht, wie man auf Basis der Struktur zu den Formeln kommt. Praktisch die Werkzeugentwicklungsmethodik. In der Mathematik sieht es ähnlich aus. Dort lernt man in der Schule das Rechnen. Also die Nutzung von irgendwelchen mathematischen Sätzen. Im Mathematikstudium lernt man hingegen die Methoden kennen, nach der in der Mathematik die Sätze auf Basis der darunterliegenden Struktur entwickelt und bewiesen werden.
Übrigens: Das KI-Buch, das ich erwähnt habe, ist natürlich ein Grundlagenbuch das noch nichtmal für Schwerpunkte im Studium genutzt wird, sondern eben für Standardvorlesungen, die viele Studenten unabhängig von der speziellen Ausrichtung im Studium hören. Man sollte denken, dass es dann in Schwerpunktsvorlesungen anders aussieht. Ich habe mich im Studium auf intelligente Systeme spezialisiert. Habe also jede Menge Literatur zu Wissensverarbeitung, Bildverarbeitung, Robotik und so gelesen. Die Behandlung des Stoffs war dort qualitativ auch nicht anders. Auch dort läuft alles in erster Linie auf eine Werkzeugschau hinaus. Eigentlich ist das auch etwas sehr positives. Letztendlich ist bei der Informatik die praktische Anwendung eben doch sehr wichtig. Man hört sehr oft die Forderung, dass dieses Studium praktisch orientiert sein soll und das ist es eben auch.
life schrieb:
Man muss aber auch mal sehen, dass Wikipedia 105 Seiten zur theoretischen Informatik und 7 Seiten zur praktischen Informatik zählt. Wenn man das mal als repräsentativ ansehen würde, so müsste man also selbst nach Gregors Meinung die Informatik zu 93.75% als Wissenschaft ansehen ;).
Naja, Wikipedia bildet nun nicht gerade ein entsprechendes Hochschulstudium ab. In so einem Studium ist die theoretische Informatik jenseits von entsprechenden Schwerpunkten vielleicht 30% des Stoffs.
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Gregor schrieb:
life schrieb:
Man muss aber auch mal sehen, dass Wikipedia 105 Seiten zur theoretischen Informatik und 7 Seiten zur praktischen Informatik zählt. Wenn man das mal als repräsentativ ansehen würde, so müsste man also selbst nach Gregors Meinung die Informatik zu 93.75% als Wissenschaft ansehen ;).
Naja, Wikipedia bildet nun nicht gerade ein entsprechendes Hochschulstudium ab. In so einem Studium ist die theoretische Informatik jenseits von entsprechenden Schwerpunkten vielleicht 30% des Stoffs.
Also im Grundstudium hat mir hier etwas mehr als 50% theoretische Informatik bzw. Mathematik Vorlesungen (genauer: 50 von 98 Punkten; Studium Generale + Nebenfach nicht mitberechnet, da beliebig wählbar). Später kann man sich dann entsprechend spezialisieren.
Mit deiner Spezialisierung auf Intelligente Systeme bist du also ein wenig selber Schuld: Ich fand die Maschinelles Lernen Vorlesung jedenfalls auch furchtbar oberflächlich und habe dementsprechend danach einen Bogen um derartige Vorlesungen gemacht ;).
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life schrieb:
Also im Grundstudium hat mir hier etwas mehr als 50% theoretische Informatik bzw. Mathematik Vorlesungen (genauer: 50 von 98 Punkten; Studium Generale + Nebenfach nicht mitberechnet, da beliebig wählbar). Später kann man sich dann entsprechend spezialisieren.
Mit deiner Spezialisierung auf Intelligente Systeme bist du also ein wenig selber Schuld: Ich fand die Maschinelles Lernen Vorlesung jedenfalls auch furchtbar oberflächlich und habe dementsprechend danach einen Bogen um derartige Vorlesungen gemacht ;).
Naja, die Mathematik habe ich jetzt nicht gerade zur Theoretischen Informatik dazugerechnet. Die fällt ja auch im späteren Studium weg. Ok, mag sein, dass mein Schwerpunkt zu so einer Werkzeugschau geführt hat. Was hältst Du denn für "wissenschaftlichere" (also in meinem Sinn jetzt) Schwerpunkte aus den Bereichen praktische oder technische Informatik? Ich meine, letztendlich gibt es IMHO die Bereiche Theoretische Informatik, Praktische Informatik, Technische Informatik und Angewandte Informatik. Zur angewandten Informatik zähle ich auch mal so Schwerpunkte, die den Einsatz von Informatiksystemen in Organisationen betreffen. Also: Wo wird man jenseits der Theoretischen Informatik nicht in erster Linie mit einer Werkzeugschau konfrontiert. Mir fällt da leider nicht wirklich etwas ein. Aber das kann natürlich auch an dem speziellen Lehrangebot liegen, das ich kennengelernt habe.
...im Übrigen bin ich durchaus ganz glücklich mit den Kursen, die ich im Studium mitgemacht habe. Ich sage nur, dass sich der Stoff qualitativ stark von dem eines Physikstudiums unterscheidet. Aber letztendlich habe ich durch das Informatikstudium einen riesigen Werkzeugkasten mitgekriegt, der mir eine sehr systematische Herangehensweise an informatische Probleme und Aufgabenstellungen ermöglicht. Das ist schon ziemlich geil.
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Gregor schrieb:
Naja, die Mathematik habe ich jetzt nicht gerade zur Theoretischen Informatik dazugerechnet. Die fällt ja auch im späteren Studium weg. Ok, mag sein, dass mein Schwerpunkt zu so einer Werkzeugschau geführt hat. Was hältst Du denn für "wissenschaftlichere" (also in meinem Sinn jetzt) Schwerpunkte aus den Bereichen praktische oder technische Informatik? Ich meine, letztendlich gibt es IMHO die Bereiche Theoretische Informatik, Praktische Informatik, Technische Informatik und Angewandte Informatik. Zur angewandten Informatik zähle ich auch mal so Schwerpunkte, die den Einsatz von Informatiksystemen in Organisationen betreffen. Also: Wo wird man jenseits der Theoretischen Informatik nicht in erster Linie mit einer Werkzeugschau konfrontiert. Mir fällt da leider nicht wirklich etwas ein. Aber das kann natürlich auch an dem speziellen Lehrangebot liegen, das ich kennengelernt habe.
Da ich mich persönlich eher auf die Theoretischen Informatik spezialisiert habe, habe ich da auch nicht so den Überblick. Spontan würden mir vielleicht noch Technische Informatik Vorlesungen einfallen, die in Richtung Elektrotechnik gehen. Ich weiß allerdings nicht, ob du Elektrotechnik als Wissenschaft anerkennst ;).
Meine Argumentation war aber auch eine andere: Ich behaupte, dass die Informatik zu einem großen Teil aus Theoretische Informatik besteht. Genauer gesagt, stellt imho Theoretische Informatik einfach das größte Teilgebiet der Informatik dar. Selbst Vorlesungen aus dem Softwaretechnik Bereich wie Compilerbau zählen (zumindest laut Wikipedia) auch zur Theoretischen Informatik.
Gregor schrieb:
...im Übrigen bin ich durchaus ganz glücklich mit den Kursen, die ich im Studium mitgemacht habe. Ich sage nur, dass sich der Stoff qualitativ stark von dem eines Physikstudiums unterscheidet. Aber letztendlich habe ich durch das Informatikstudium einen riesigen Werkzeugkasten mitgekriegt, der mir eine sehr systematische Herangehensweise an informatische Probleme und Aufgabenstellungen ermöglicht. Das ist schon ziemlich geil.
So ähnlich hat der Professor die Vorlesung auch begründet. Da der praktische Nutzen einer Vorlesung für mich aber eher zweitrangig ist, hätte mir etwas (wesentlich) mehr Tiefgang doch (wesentlich) besser gefallen. Ich hatte irgendwie die ganze Zeit das Gefühl, dass der Prof das Thema wechselt, sobald es gerade anfängt interessant zu werden...
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Hallo zusammen,
ich habe gerade nochmal nach diesem Thread geschaut und habe mir Freude festgestellt, dass sich wohl einiges getan hat. Ich habe eure Antworten noch nicht gelesen, doch das werde ich sicherlich bald machen und mich dann natürlich darauf beziehen. Vielen DankIch habe auch schonmal an ein Doppelstudium gedacht. Ich könnte ja Informatik anfangen und sobald ich den Bachelor habe, fange ich auch mit der Physik an. Das würde aber so lange dauern. Irgendwann muss ich ja auch mal einen richtigen Job haben.
Informatik oder Physik...vielleicht werde ich aus euren Antworten schlau!!
Bis bald, vielen Dank, gute Nacht und liebe Grüße
freakC++
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Gregor schrieb:
Ich habe natürlich auch nur subjektive Erfahrungen. Aber jenseits davon kenne ich natürlich auch Standardliteratur, die im Studium genutzt wird. Bleiben wir doch mal bei der Künstlichen Intelligenz. Ein absolutes Standardbuch in diesem Bereich ist "Artificial Intelligence - A Modern Approach".
Aber da sist wirklich Lehrstuhl Abhängig. Bei dem von dir genannten Buch weiß ich, dass wir es in der Bibliothek haben, benutzt haben wir es nie. Unser Standardwerk war "Pattern Recognition and machine learning" - und dort gibt es keinerlei Anzeichen für Werkzeuge. Klar, es werden ein paar Verfahren beschrieben, aber das Buch beginnt bei den Grundlagen der Statistik und baut dann Seite für Seite immer mehr Verständnis für das Grundproblem auf - zum Beispiel was Regression ist, wie das funktioniert, was für verschiedene Ansätze es gibt...und das immer schön mathematisch hergeleitet. Dann stehen da mal 5-6 Seiten mathematische Herleitung(stark verkürzt) drin, nur weil der Author den LEser vom letzten Problem auf das nächste führen will.
Ich denke, es hängt auch davon ab, wie viele Vorlesungen man hat. Wenn man natürlich nur 1-2 Vorlesungen über Maschinenlernen hat, dann kommt man da nicht sehr tief rein. Dann ist besser, nur die Werkzeuge zu Lehren. Wenn man aber wie wir, 7 Vorlesungen über das Zeug hat, dann kommste von der Theorie her ganz tief runter. Ein gutes Beispiel ist momentan meine Vorlesung über unüberwachtes lernen, die zwar in 2 Teile aufgesplittet ist, aber jeder Teil wunderbar zuende gedacht ist. Der erste Teil beginnt bei PCA, führt dann weiter über ICA und endet bei SFA. Und wirklich jeder Schritt auf dem Weg wird hergeleitet. Quasi von der Idee "was wollen wir machen?" über die Vorstellung wie eine Problemlösung aussehen sollte bis hin zur Herleitung aller Gleichungen. dabei steht ganz klar im Vordergrund, wie wir zum Verfahren kommen, auch wenn das bedeutet, dass wir wärhend der Vorlesung mal ne halbe Stunde elendig häßliche Gleichungen an der Tafel umformen.
Also mit nem Werkzeugkasten hat das nichts zu tun. Eher das aktive Nutzen mathematischer Werkzeuge um neue Probleme zu lösen. In dem Sinne: wenn die Neuroinformatik richtig gelehrt wird, dann ist sie richtig wissenschaftlich. (Nicht umsonst arbeiten bei uns am Institut mehrheitlich Phsyiker...)
Ich muss sogar sagen, dass ich, je weiter ich in diesen Vorlesungen komme, ich mehr und mehr merke, dass ich an die Grenzen dessen komme, was ich an mthematischen Grundlagen während des Studiums sammeln konnte. Ich höre immer öfter Sätze wie: "Kennt ihr das? *allgemeines schweigen*...ohh...na dann lernt ihrs jetzt kennen". und dabei haben wir Informatiker mit dem Schwerpunkt Neuroinformatik bereits eine Mathe-Vorlesung mehr... Für mich als jemand ohne aktiven Vergleich ist das zumindest schonmal ein sicheres zeichen dafür, dass wir zumindest nicht zu oberflächlich dran gehen.
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Ich habe mal eine BWL-Vorlesung teilweise mitgehört; als erstes wurde argumentiert, dass dies eine Wissenschaft darstelle mit der Begründung "es werden schließlich formale Modelle genutzt". Allerdings meinte der Prof. bei den formalen Modellen eher hübsche Grafiken ;-). Beweis per Autorität war da zumindest anerkannt.
Im Studium lerne ich neben dem Stoff, der selbstverständlich auch in der theoretischen Informatik "veraltet", viel mehr die Art und Weise, wie man strukturiert ein Modell untersucht. Übrigens ist die theoretische Informatik voller Programmierherausforderungen!